Mensch und Wald seit dem Mittelalter. Lebensgrundlage zwischen Furcht und Faszination

Mensch und Wald seit dem Mittelalter. Lebensgrundlage zwischen Furcht und Faszination

Organisatoren
Institut für Geschichtliche Landeskunde der Universität Tübingen; Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg; Sülchgauer Altertumsverein Rottenburg a. N. e.V.; Stadt Rottenburg am Neckar
Ort
Rottenburg
Land
Deutschland
Vom - Bis
27.04.2018 - 29.04.2018
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Von
Tabea Scheible / Niklas Goldberg / Julius Jansen, Institut für Geschichtliche Landeskunde, Universität Tübingen

Erstmalig fand ein gemeinsames Symposium des Instituts für Geschichtliche Landeskunde, des Sülchgauer Altertumsvereins, der Stadt Rottenburg und der Hochschule für Forstwirtschaft Rottenburg in der dortigen Hochschule statt, das sich „Mensch und Wald seit dem Mittelalter“ widmete. Der Wald sollte als vielseitiger Forschungsgegenstand, als Lebensgrundlage zwischen Furcht und Faszination, regional eingebunden und im interdisziplinären Dialog weiter erschlossen werden.

Bereits die ersten Vorträge brachten auf den Punkt, dass der Wald weiterhin ein umfassendes Forschungspotential bietet. So stellte der Archäologe RAINER SCHREG (Bamberg) zum Tagungsauftakt bereits das althergebrachte Forschungsparadigma mittelalterlichen Landesausbaus zur Besiedlung und Erschließung einer ‚Wildnis‘ in Frage. Der Mythos vom Wald als ‚Wildnis‘ berge eine kolonialistische Perspektive auf Ackerbau und Waldwildnis. Anhand verschiedener archäologischer Siedlungsfunde stellte er sowohl den bestehenden Datenmangel über Besiedlungen heraus als auch den Kahlschlag im Wald als begrenztes örtliches Phänomen vor dem Landesausbau.

TILMAN MARSTALLER (Tübingen/Rottenburg) konnte daran aus der Perspektive der Bauforschung anknüpfen und Ausführungen zu Bodenerosionsrinnen mit mittelalterlichen Holzschlagpraktiken in Verbindung bringen. In seinem vergleichend angelegten Vortrag stellte er anhand zweier groß angelegter regionaler Forschungsprojekte kontrastierend heraus, wie sich die Entwicklung und Wirkung der Bauholzflößerei am Neckar von der an der Enz unterschied. Sowohl Techniken des Floßbindens als auch Handelsmarken und deren Zusammenspiel mit herrschaftlichen Zollbedingungen wurden beleuchtet, mit dem kritischen Befund, dass der gegenwärtige Abriss alter Häuser jene aufschlussreichen Holzquellen zunehmend zerstöre.

CHRISTOPH SCHURR (Rottenburg) brachte hingegen die Dimension des Wandels über die Zeit und die Ausdifferenzierung sozialer Schichtungen anhand der Jagd ein. In einem langen und kontrastierenden Überblick zwischen gegenwärtiger Jagdpraxis und seinen historischen Wurzeln im Mittelalter und der Frühen Neuzeit wurde das Kontinuum zwischen dem Wald und dem daran anschließendem Raum sichtbar. Schurr brachte schließlich das Spannungsverhältnis zwischen (Landes-)Herrschaft und lokaler Rechtsausübung über die Thematik der Wilderer im Wald zur Sprache – erweitert und ergänzt wurde es in der folgenden Nachmittagssektion aus historischer Perspektive wieder aufgegriffen.

Dem wechselseitigen Verhältnis von Herrschaft und Wald, insbesondere im Spätmittelalter ging PETER RÜCKERT (Stuttgart) in seinem Vortrag nach. Er zeigte, dass der Wald keineswegs anspruchsfreies, sondern vielmehr in erster Linie herrschaftliches Terrain war („Kein Wald ohne Herrn“). Hier trafen Rechte und Ansprüche verschiedener Herren aufeinander, sodass der „Wettlauf um den Wald“ im Spätmittelalter einen nicht zu unterschätzenden Beitrag zum Prozess der Territorialisierung geliefert habe. Die Jagd sei in diesem Sinne auch als herrschaftliches Mittel der Raumbeherrschung durch Präsenz zu verstehen. Doch konkurrierten nicht nur die Herren untereinander, sondern auch mit ihren Untertanen um die Nutzung des Waldes, was gerade im Spätmittelalter hohes Konfliktpotenzial barg.

JOHANNA REGNATH (Freiburg) folgerte, dass der Wald in der Frühen Neuzeit als zentrale Rohstoffquelle betrachtet werden muss. Sie untersuchte die Waldnutzung unter den Aspekten Energie, Werkstoff und Nahrung. Dabei wurde ebenfalls ein Seitenblick auf Übernutzungserscheinungen geworfen, wie auch Nutzungs- und Besitzkonzepte voneinander abzugrenzen seien. Pointiert sprach sie für die Zeit vor 1750 von einer kommunalen Waldnutzung. Im Kontext der Aufklärung und mit dem Verlauf des 19. Jahrhunderts entwickelten sich die heutigen Eigentumsvorstellungen. Damit verbunden sei die Entwicklung vom Nähr- zum Nutzwald.

Eine Klammer zu den vorausgegangenen Vorträgen bildete GEORG WENDTs (Aalen) Blick auf den Wald als Konfliktraum, die in einer gemeinsamen Diskussion mündeten. Anhand vierer Fallbeispiele im Gebiet des Fürstentums Württemberg entwickelte er eine kleine Typologie des frühneuzeitlichen Forstkonflikts bestehend aus drei widersprüchlichen Spannungsverhältnissen: Zum einen sei der Wald Ort landesherrlicher Souveränität, zugleich aber auch kleinterritorialer Selbstbestimmung gewesen. Zum anderen biete er Rückzugsmöglichkeiten für Abweichler, sei mithin ein Ort der Devianz, werde aber dennoch durch die Herrschaft zu ordnen versucht. Zuletzt stieß im Wald auch die herrschaftliche Repräsentation mit dem Prinzip gemeinschaftlicher Ressourcennutzung aufeinander. Virulent würden alle diese drei Konfliktverhältnisse im Prozess der Herrschaftsentwicklung, weshalb auch Wendt den Blick auf den Wald als lohnenswert für das Verständnis dieses Phänomens hervorhob.

Eindrücklich grenzte STEFAN KNÖDLER (Tübingen) im öffentlichen Abendvortrag diese gewonnenen Erkenntnisse vom Bild des Waldes ab, das in der Literatur der Romantik evoziert wurde. Kulturelle Zuschreibungen schufen verschiedene Formen von Waldnarrativen, den allegorischen Wald Dantes: den gefährlichen Jagdwald der Nibelungen, den Märchenwald wie später auch – ganz prägnant bei Tieck – die Waldeinsamkeit. Verbunden wurden sie jedoch unter der Wahrnehmung von Bedrohung.

Den Blick über die Frühe Neuzeit hinaus, vor allem ins 19. Jahrhundert, weitete BERND-STEFAN GREWE (Tübingen). Er unterzog das Phänomen der Holznot als einer besonders gefährlichen, weil nicht kurzfristig überwindbaren, Krise einer kritischen Betrachtung. Indes sei in der Vergangenheit oft gerade dann eine drohende Knappheit der Ressource Holz prognostiziert worden, wenn die eigenen Nutzungsrechte auf Wälder auf Kosten anderer ausgedehnt werden sollten. Am Beispiel der Pfalz konnte Grewe aufzeigen, wie eine verstaatlichte Forstwirtschaft zum einen bedeutende Einkommensquelle war, zum anderen zur ökonomischen Nachhaltigkeit des Waldes beitrug. Die Kosten hierfür hätten jedoch die ebenfalls auf die Ressourcen des Waldes angewiesenen Untertanen getragen.

Der Forstwissenschaftler SEBASTIAN HEIN (Rottenburg) befasste sich mit dem Nutzwald im 19. und 20. Jahrhundert. Dabei stellte er vor allem die naturale Grundlage in den Vordergrund. Zunächst ging Hein der Frage nach, ob die Zuschreibung „Nutz-“ überhaupt gerechtfertigt sei und schloss damit an den Beitrag von Frau Regnath an. Dann wurde der Problemkomplex der Übernutzung zu Beginn des 19. Jahrhunderts diskutiert, dazu weitete er den Blick, indem er die Situation in Deutschland mit der Lage in Frankreich und Japan verglich. Als Reaktion auf die durch die Übernutzung bedingte Holznot etablierte sich im 19. Jahrhundert eine Forstwissenschaft in Deutschland, die die Wiederaufforstung betrieb.

Bei der Podiumsdiskussion wurden zentrale Ergebnisse der Tagung zusammengefasst und neue weiterführende Fragen aufgeworfen. Eingesetzt wurde mit der offenen Frage, ob der Wald eine Last oder eine Lust sei. Besonders hervorzuheben sind dabei die kontrastierenden Perspektiven von MAXIMILIAN ERBGRAF ZU KÖNIGSEGG-AULENDORF (Königseggwald) - als Leiter des Familienunternehmens ist er bis heute Besitzer großer Waldflächen –, der für Lust votierte und KARLHEINZ GEPPERTs (Rottenburg), der als Kulturamtsleiter der Stadt Rottenburg schilderte, dass der städtische Waldbesitz bis heute einen nicht unerheblichen Teil des städtischen Haushalts ausmache. Kontrovers wurde die Frage diskutiert, inwiefern bei den Deutschen von einem besonderen Verhältnis zum Wald gesprochen werden könne. Der Wald könne ambivalent einerseits ein Raum der Metamorphose sein und somit Ort positiver Veränderungen, in der Literatur der Romantik erscheine er andererseits häufig als ein Ort negativer Geschehnisse, wie DOROTHEE KIMMICH (Tübingen) bemerkte. Nicht zuletzt wurde das Verhältnis von Nationalismus und Wald kritisch angesprochen.

Den Abschluss der Tagung bildete eine Exkursion in den lokalen Wald, den sogenannten Rammert, ebenfalls unter interdisziplinärer Anleitung des Forstwirtschaftlers STEFAN RUGE (Rottenburg) und der Archäologin DOROTHEE ADE (Rottenburg).

Eine große Stärke der Tagung lag nicht nur im perspektivwechselnden Zusammenspiel der einzelnen Vorträge, sondern auch in den anschließenden, ausführlichen Diskussionen, denen ausreichend Zeit eingeräumt wurde. Verschiedene Facetten der Waldnutzung und -wahrnehmung über die Zeit wurden nicht nur zur Sprache, sondern auch interdisziplinär ins Gespräch gebracht.

Konferenzübersicht:

Moderation: Barbara Scholkmann

Rainer Schreg (Bamberg): Kahlschlag? Im Urwald?: Archäologische Aspekte zum mittelalterlichen Landesausbau

Christoph Schurr (Rottenburg): Jagdpraxis und Brauchtum im Mittelalter

Tilmann Marstaller (Rottenburg) Vom Floß ins Haus: Entwicklung und Wirkung der Bauholzflößerei an Neckar und Enz

Moderation: Sigrid Hirbodian (Tübingen)
Peter Rückert (Stuttgart) Wald und Herrschaft im späteren Mittelalter

R. Johanna Regnath (Freiburg im Breisgau): Energie – Werkstoffe – Nahrung: Wald als zentrale Rohstoffquelle der frühen Neuzeit

Georg Wendt (Aalen): Söldner, Schurken und Spione: Forstkonflikte im frühneuzeitlichen Herzogtum Württemberg

Stefan Knödler (Tübingen): Abendvortrag Studium Generale: Der Wald in der Literatur der Romantik

Moderation: Artur Petkau (Rottenburg)

Bernd-Stefan Grewe (Tübingen): Die "Steuerung der Holznot": Reaktionen auf die Ressourcenkrise des 19. Jahrhunderts

Sebastian Hein (Rottenburg): Nutzwald im 19./20. Jahrhundert

Podiumsdiskussion
Moderation: Bastian Kaiser

Karlheinz Geppert (Rottenburg) / Sigrid Hirbodian (Tübingen) / Dorothee Kimmich (Tübingen) / S.H. Maximilian Erbgraf zu Königsegg-Aulendorf


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